Der Duft von Argentinien

® The scent of Argentina (Englische Ausgabe)
Veröffentlichung im Mai 2024.
Gemeinsame Übersetzung mit Paul M. Tukey
In Bearbeitung:
® El aroma de Argentina (Spanische Ausgabe)

Die zweite, erweiterte und korrigierte Auflage ist bei www.epubli.de erschienen.

E-BOOK: https://www.epubli.com/shop/der-duft-von-argentinien-9783758496752

Roman von Oliver Konrad Gerbig
Ein Lesexemplar, E-Book und/oder Audiobook sende ich gerne auf Anfrage

12 Jahre in der Welt des Tango Argentinos und 3 Jahre intensive Recherche der politischen, historischen und soziologischen Hintergründe von Argentinien zwischen 1945 und 1955, haben den Hintergrund für eine Liebesgeschichte entstehen lassen, die ich Ihnen als Roman vorstellen möchte:

Die Geschichte beginnt in Berlin 2022 mit der Erzählung eines alten Tango-Tänzers, der durch ein Musikstück in seinen Erinnerungen in die Vergangenheit versetzt wird. Esperanza Darno, deutsch-argentinische Sängerin, und El Ruso, polnischer Geiger, zwei Menschen, deren Herkunft nicht unterschiedlicher sein könnte, flüchten aus dem zerstörten Europa des Zweiten Weltkriegs. Sie führen sehr unterschiedliche Leben in der vom Tango durchtränkten Metropole von 1945. Die Musik und der Tango bringen sie zusammen und sie bauen sich in Buenos Aires ein neues Leben auf. Sie verlieben sich in der musikalischen Welt der Tango-Orchester, die nach 1945 ihre Blütezeit erlebten. Esperanza und El Ruso genießen die wunderbare Welt der Tango-Musik und der vom Tango begeisterten Menschen. Auf einer Tournee ihres Orchesters staunen sie über die Schönheit und Vielfalt Argentiniens. Das neu gefundene Leben und die Liebe werden jedoch in Gefahr gebracht, als Schatten der Vergangenheit auftauchen.

Romantisch wie eine erste zarte Berührung.
Dramatisch wie ein Tango.
Musikalisch wie der sehnsüchtige Ton eines Bandoneons.

Dieser Roman umspinnt die geschichtlichen Ereignisse der Zeit nach dem 2. Weltkrieg in Argentinien mit einer ergreifenden Liebesgeschichte. Kaufen Sie jetzt Ihr Exemplar und tauchen Sie ein in eine Welt von Liebe, Musik, Abenteuer und Geschichte.

Dieser Roman begann als eine Idee für ein musikalisches Theaterstück. Während der Entwicklung der Geschichte merkte ich jedoch sehr schnell, dass die darzustellenden Situationen und Charaktere zu komplex und tiefgründig für das Theater sein würden. Szene um Szene entstand so, basierend auf geschichtlichen Ereignissen, diese ergreifende und dramatische Liebesgeschichte.

Ich freue mich, Ihr Interesse geweckt zu haben und nehme Sie mit auf eine Reise, die 1922 in der Münchner Stadtvilla einer Argentinischen Familie beginnt, ihren Lauf in Argentinien zwischen 1945 und 1955 nimmt und 2022 auf einer Tangoveranstaltung in Berlin endet.

Inhalt (Fettgedruckt = Leseprobe)

1    Museumsinsel, Berlin, 2022
2    Silvester 1922
3    Scala Berlin 1936
4    Theater Lemberg, Polen, 1943
5    Cabaret de Paris 1944
6    Hafen von Genua 1944
7    Conventillo 1945
8    Bienvenidos
9    Conventillo 2
10   Fabrizio
11   Cambio de Sentido
12   Das Vorspielen, 1946
13   Maestro
14   Orchester 1946
15   Amorada
16   Maria Restelli
17   Carlos Rodrigues 1947
18   Conventillo 3
19   El Tango, 1948
20   Natur
21   Die Frage
22   Vergangenheit
23   Die Weite Argentiniens
24   Malbec y Asado
25   Montevideo
26   Die Ratten kommen, 1949
27   Vergebung
28   Der Plan
29   Der lange Weg
30   Der Ball
31   Das Apartment
32   Das andere Leben, 1950
33   Villa Devoto
34   Indoktrinierung
35   Die Entdeckung
36   Doppelleben, 1955
37   Enigma
38   Corpus Christi
39   La noche
40   Schatten
41   Plaza de Mayo
42   Die Museumsinsel 2

Leseproben

Erstes Kapitel: Museumsinsel Berlin, Samstag, 16.07.2022 (gekürzt)

„Alles Gute zum Geburtstag Carlos Rodrígues. Neunzig, unglaublich, seit heute bist du tatsächlich neunzig Jahre alt“, rede ich fast erstaunt mit mir selbst und stelle fest, dass meine Stimme über die Jahrzehnte einige Patina angesetzt hat.
Ich stehe vor dem Spiegel und versuche vergeblich, die Züge jenes jungen Mannes wiederzufinden, der einst in Buenos Aires aufgewachsen ist.
Heute ist es so wie seit zweiundsiebzig Jahren. Ich hole meinen dunklen Zweireiher-Anzug im Stil der vierziger Jahre aus dem Schrank. Meine schwarzen Tangoschuhe bewahre ich in der Kiste auf, in der ich 1955 mein erstes Paar kaufte. „Der alte Karton“, lächele ich. Er ist inzwischen abgegriffen und blass. Früher leuchtete er in bunten Farben und die argentinische Fahne mit ihrem herrlichen Hellblau in verschlungenen Ornamenten und Blumen zierte den Deckel. Jedes Mal, wenn ich ihn verschließe, lege ich neue Erinnerungen mit hinein. Glückliche Bilder der Vergangenheit, die verschwommen im Spiegel hinter meinem Gesicht erscheinen. Inzwischen sind es viele glückliche Momente, die mein Leben bereichert haben. Jahre, in denen ich fast täglich umarmt von schönen Frauen über die Parkettböden der Welt geschwebt bin. Mit den Füßen habe ich Gedichte auf den Boden geschrieben. Ich empfinde unendliche Dankbarkeit für das Leben, welches der Tango mir beschert hat. Jede dieser Umarmungen habe ich in mein Herz geschlossen.
(…….)
Das Leben hat mich nach Berlin verschlagen. Viele Jahre durfte ich als Botschafter des Tangos in dieser Stadt unterrichten. „Weißt du , Chico“, rede ich vor mich hin und gebe ihm frisches Wasser, „ich habe hier das geteilte Berlin erlebt, die Mauer und deren Fall. Am neunten November 1989 habe ich auf der Mauer Tango getanzt. In einer innigen Umarmung verschmolzen damals Ost und West an der Stelle, wo Menschen starben, um ihrem Traum nach Freiheit zu folgen. Jubel, Zorn, Verachtung, Hass, Sehnsucht und alle Gefühle, zu denen die Menschheit fähig ist, wiedervereinigten sich zu Frieden und Harmonie. Kapitalismus und der real existierende Sozialismus fanden Frieden bei diesem denkwürdigen Mauer-Tango, noch lange bevor es die Menschen taten.
(……..)
Vom S-Bahnhof Alexanderplatz aus laufe ich in Richtung Brandenburger Tor die Karl-Liebknecht-Straße entlang. Ich betrete die Museumsinsel und erblicke das glanzvolle Ambiente dieses historischen Platzes gegenüber dem neu aufgebauten Berliner Schloss , mit seiner glänzenden Kuppel und den aus Bronze gegossenen Engeln, die diese tragen und mich immer wieder zum Staunen bringen. An diesem warmen Nachmittag ist die Insel gefüllt mit entspannten, glücklichen Menschen, die die Wärme genießen und auf den Grünflächen zwischen den prachtvollen, historischen Gebäuden plaudern, schlafen oder auf ihren Laptops und Handys schreiben.
Kurz bevor ich hinter dem Bode Museum die Brücke über die Spree zum Monbijoupark überquere, höre ich bereits die ersten fernen Klänge eines Tangos.
Sofort hebt sich meine Stimmung und steigt mein Puls. Die Magie dieser Musik lässt Vorfreude aufkommen, wie man sie sonst nur in Kinderaugen vor Weihnachten findet.
„Soll ich einen Artikel darüber schreiben?“, kommt es mir in den Sinn, aber sofort überlasse ich diese Aufgabe den jungen Journalisten, an die ich vor vielen Jahren meinen Job abgetreten habe. „Man muss wissen, wann es genug ist. Ich habe fünfundvierzig Jahre lang geschrieben, recherchiert, aufgedeckt, spioniert und richtiggestellt. Ich habe meinen Teil erfüllt“, denke ich beim Näherkommen, als die Musik lauter wird.
Schon während ich die Treppe zur Uferpromenade heruntersteige, erkenne ich viele bekannte Gesichter. Die Damen sind wunderschön herausgeputzt in ihren extravaganten Tangokleidern. Alle strahlen und sind von einer Glückseligkeit und freudigen Erwartung bestimmt, die heute auf den Straßen selten anzufinden ist. Eine Mischung der edelsten Eau de Cologne und Parfums steigt mir angenehm in die Nase.
„Bienvenidos , Carlos!“, ruft Fernando, den man Mr. Zapato nennt und der diese Milonga organisiert. „Komm“, sagt er, „ich habe dir den besten Platz freigehalten, gleich an der Tanzfläche, wo du alle sehen kannst.“
(…..)
Plötzlich steht sie vor mir und bricht mit jeder Etikette.
Sophie aus Neukölln, Studentin der Violine an der Hanns Eisler, Mitte 20, wunderschön und eine der besten Tänzerinnen Berlins.
„Carlos, Carlos, wie schön, dass du da bist. Tanz mit mir!“, ruft sie mit einem umwerfenden Lächeln und dreht sich im Kreis. Der wie ein Schwalbenschwanz geschnittene Rock an ihrem Kleid wirbelt herum. Die anderen Frauen starren sie entgeistert an. Haben sie mich doch seit meiner Ankunft mit ihren Blicken durchbohrt, um einen Tanz zu ergattern. Nun feuern ihre Augen spitze Dolche auf Sophie ab.
(…..)
„Lo siento, Ladies“, denke ich triumphierend und biete Sophie meine Hand an. Sie kommt ganz nah und ich versinke in ihrem Duft und ihrer jugendlichen Energie. Ich lege meinen rechten Arm um ihre Taille und sie kommt mir so nah, dass ich ihre Brüste spüre. Ich fühle ihr Herz neben meinem schlagen und ein Zittern durchfährt mich. Sie drückt mich so fordernd an sich, dass ich das Gefühl habe, mit ihr zu verschmelzen, dass es keine Grenze zwischen uns gibt.
Sie wartet, wartet, dass ich ihr wortlos etwas sage. Ich lasse mich mit jeder Faser meines Körpers in diesen Moment fallen. Ich schließe die Augen und lasse den Moment der ersten Bewegung spontan entstehen. Keine fertige, einstudierte Bewegung, kein Tanzschritt. Ich atme sie tief ein und nehme sie zwanglos aber entschlossen mit auf die Reise. Dies ist ein Moment, der für immer in der Ewigkeit nachklingt, weil er einzigartig und einmalig ist.
(…..)
„Wann spielt endlich dieses Orchester?“, frage ich mich ungeduldig, den Blicken der Tänzerinnen ausweichend, die mich immer noch mit ihren inzwischen fordernden Blicken durchlöchern.
Die Instrumente liegen schon da. Das wird spannend. Ich hatte mit einem so großen Orchester nicht gerechnet. Meistens spielen vier Musiker zum Tanz auf. Ein Piano, ein Bass, eine Geige und das Bandoneon.
(…..)
Fernando betritt die Tanzfläche und beginnt mit seiner Ansage.
Argentinisch ausschweifend spricht er laut und mit großen Gesten, „Tangueros y Tangueras, ich freue mich , Ihnen heute eine besondere Premiere präsentieren zu dürfen“, begeistert er sich und uns. „Begrüßen Sie mit einem großen Applaus das hier in Berlin neu gegründete Tango-Orchester ‚Orchestra Milonguera Intercultural ‘!“ Die Anwesenden tuscheln in großer Erwartung und applaudieren.
„Die Gründerin und musikalische Leiterin, Violinistin Sophie Maiers!“
„Ich hatte dir ja gesagt, dass es noch eine Überraschung gibt“, schmunzelt Sophie, küsst mich auf die Wange und geht selbstbewusst auf die Tanzfläche.
(……)
Sophie greift souverän zum Mikrophon und kündigt das nächste Stück an.
„Señores y Señoras, Tangueros y Tangueras, liebe Gäste, heute werden wir ein neues Stück für euch spielen“, funkeln ihre Augen. „Erst kürzlich habe ich die Noten dieses vergessenen Tangos auf meinem Speicher gefunden.
Lasst euch von uns verzaubern.“
„Sie ist immer wieder voller Überraschungen , meine kleine Sophie“, staune ich.
Es folgen ein erwartungsvoller Applaus und dann eine tiefe Stille. Wieder atmen die Bandoneons tief ein. Sophie setzt elegant ihren Bogen auf die Saiten und gibt das Zeichen für den gemeinsamen Einsatz. Die ersten Töne sind fröhlich und beschwingt doch dann, nach ein paar Takten wechselt das Stück ins Moll. Es wird schwerer und leicht dissonant. Es erinnert mich an einen gequälten, stummen Schrei und ich werde blass. Schon nach den ersten Tönen krampft sich mein Magen zusammen. Nun weiß ich auch wieder, wessen Geige sie da spielt. Ich bin wie gelähmt, als sich der Schleier der Vergessenheit von der Geschichte hebt, die ich damals als junger Journalist recherchiert hatte.
Eine Geschichte, die 1922 ihren Anfang nahm und 1955 endete, so glaubte ich jedenfalls bis heute. Schweißperlen treten auf meine Stirn und mir wird schwarz vor Augen.
„Woher hat sie dieses grauenbehaftete Stück?“ höre ich meine Gedanken in der Dunkelheit der Ohnmacht verhallen.
Woher hat sie den Tango des Todes, den
„Tango de la Muerte“?

Viertes Kapitel: Theater Lemberg, Polen 1943 (gekürzt)

Als Esperanza die Garderobe betritt, spürt sie eine Energie in diesem Raum, die nur Theaterleute wahrnehmen können. Sie spürt die Musiker, die sich wohl vor kurzem noch auf eine Vorstellung vorbereitet haben.
Der Geist der Musik, des Lachens und der Anspannung vor der Vorstellung ist noch deutlich zu spüren. „Es ist wie ein Knistern, das wie ein Elmsfeuer die Wände entlangläuft“, denkt sie müde von der Reise. Mit einem tiefen Seufzer stellt sie ihre Tasche und den Bandoneonkoffer auf die durchgesessene Couch. Von Lublin war es nicht weit gewesen, aber die Straßen waren schlecht. Oft hatten sie anhalten oder Umwege fahren müssen, da die Offiziere, die für ihre Sicherheit verantwortlich waren, Anschläge des polnischen Widerstandes erwartet hatten. Die Wochen vorher waren nicht minder kräftezehrend gewesen. In Berlin und Dresden hatte sie unter großem Jubel und viel Applaus ihre letzten Konzerte im Reich gegeben. Dann feierte sie Erfolge vor den Offizieren und ausgewählten Soldaten, die in Polen stationiert waren. Katowice, Warschau und Lublin waren die Orte gewesen, wo sie mit ihrem eigenen kleinen Orchester auftrat.
(…..)
„Interessant“, denkt sie, als ihre Augen an einer Fotografie hängen bleiben, die oben auf der linken Seite des Spiegels unter das Holz geklemmt ist.
„Ein Orchester“, nimmt sie das Bild interessiert ab. „Hübsche Jungs, alle strahlen und lieben ihre Musik und das Leben“, bleibt ihr Blick an zwei jungen Geigern hängen, von denen einer eine dicke schwarze Lockenpracht trägt und aus vollem Herzen lacht. „Ob das wohl das Orchester ist, das diese Garderobe benutzt hat?“ Unbewusst, als würde sie erwarten , Namen auf der Rückseite zu finden, dreht sie das Bild herum. „Noten, eine Tangomelodie in E-Dur“, staunt sie, als sie diese musikalische Skizze betrachtet.
(…..)
„War noch was?“, fragt Esperanza etwas genervt, als der Hauptsturmführer immer noch verloren im Raum herumsteht.
„Det letzte Stück…“, bringt er leise hervor.
„Ah, ‚Darf ich Bitten ‘ von Fritz Weber, netter Foxtrott, funktioniert immer als Stimmungsmacher“, sagt Esperanza höflich aber merklich schroffer als es sich geziemt und deutet mit dem Blick zur Tür.
Entnervt denkt sie, „will der Spanner jetzt sehen, wie ich mich anziehe?“, dreht sie sich zu ihrem Vater um und verdreht die Augen.
„Herr Hauptsturmführer?“, spricht Gustav ihn an.
„Ne, ne nich det, die Zujabe, wat war‘n det?“, stottert Warzowiak und pfeift die Melodie eher schief nach.
„Pfeifen ist im Theater übrigens verboten“, blafft sie ihn an.
„Tschul… Tschuldigung “, stottert Warzowiak .
„Ach, das, das ist nur eine kleine, neue Melodie, ein Tango“, lässt sie das Bild des Orchesters in ihrem Bandoneon Koffer verschwinden.
„Darf ich Sie um einen großen Gefallen bitten?“ fragt Warzowiak schüchtern.
„Wenn Sie det mit die Hacken lassen“, schaut sie ihn an und muss wieder grinsen.
„Jawohl“, pariert Warzowiak, „würden Sie mir diese wunderbare Melodie aufschreiben?“
Genervt kritzelt sie die Melodie auf ein weiteres leeres Notenblatt.
„Wofür brauchen Sie die denn?“, fragt Esperanza und hält eine Ecke des Blattes fest, während Warzowiak an der gegenüberliegenden zieht.
„Ach, es ist nur eine Idee, ich kenne da ein Orchester, das das spielen könnte, zu besonderen Anlässen.“

Sechstes Kapitel: Hafen von Genua 1944 (gekürzt)

„Vierunddreißig Grad, diese Hitze ist heute wieder unerträglich“, schaut der italienische Hafenmeister auf das Thermometer am Fensterrahmen seines Büros im dritten Stock des Hafengebäudes in Genua.
(…..)
Majestätisch ragt der mit tausenden von Nieten zusammengehaltene, schwarz gestrichene Rumpf bedrückend düster in die Höhe. Die strahlend weißen Aufbauten nehmen die Menschen an dem Pier kaum wahr. Nur aus der Ferne ist die Pracht dieses stolzen Dampfschiffes gut zu erkennen.
(…..)
Reisende, Flüchtlinge und scheue Gestalten, die allen Blicken ausweichen und sich wünschten , unsichtbar zu sein, drängen sich schwitzend und stöhnend an dem Hafenpier. Sei es aus Angst verfolgt zu werden oder wegen des schlechten Gewissens, welches sie seit ihren Gräueltaten während der letzten Jahre plagt, haben sie den Weg hierher gefunden. Männer in Uniform versuchen zu kontrollieren, wer an Bord geht, werden aber der schier endlosen Flut von Menschen kaum Herr, die aus Verzweiflung, Trauer, Sehnsucht oder ihrer dunklen Geschäfte wegen so schnell wie möglich die Wirren des Krieges hinter sich lassen wollen.
(…..)
In diesen kurzen Minuten der Entspannung öffnen sich Esperanzas Sinne und aus dem Lärm der Pier berührt der Hauch einer Melodie ihre Ohren. Wie von einem unsichtbaren Band gezogen, folgt sie dem Klang einer Geige. Mit langsamem, gleichmäßigem Schritt ziehen die Klänge sie voran. Die Menschen um sie herum weichen aus, als wäre sie von einer schützenden Aura umgeben, die kein anderes Wesen in ihrem Kreis duldet. Je näher sie der Quelle der verzaubernden Musik kommt, umso lauter schlägt ihr Herz und ihre Stimme formt leise Töne, die die Klänge der Geige umschmeicheln und ergänzen. Gegen den Strom der Reisenden kämpfend, der sie von diesem musikalischen Ort der Harmonie und Schönheit, ja, sogar der musikgewordenen Liebe hinweg zu spülen versucht, bleibt ihr das Antlitz des Virtuosen verborgen. Der Fluss der Masse spült und dreht sie gerade so, dass sie nur seinen Bogen und gelegentlich die Finger auf den Saiten hinter seinem Hut erkennen kann, nie jedoch seine Augen oder gar sein Lächeln zu Gesicht bekommt. Und doch bleibt sie mit ihm verbunden, dem Geiger mit dem braunen Mantel und dem Schlapphut, der sie mit seiner Musik streichelt und liebkost, dessen Melodie sie im Innersten berührt und ihr Herz zum Singen bringt.

12. Kapitel: Das Vorspielen, Januar 1946 (gekürzt)

„Ich hätte nicht gedacht, dass es so viele sein würden“, wundert sich Fabrizio, als El Ruso die Tür zum Café El Nacional öffnet.
„Ja und sicher sind sie alle besser als ich“, schaut sich El Ruso um. Es sitzen etwa vierzig Musiker, Geiger, Bandoneonisten und Kontrabassisten in und vor dem geräumigen Café und warten auf ihr Vorspiel. Es riecht nach Kaffee und Medialunas, süßem Gebäck und Zigaretten. In den Ecken drehen sich Ventilatoren und durchmischen die stickig warme Luft, die sich feucht und klebrig anfühlt.
Einige Musiker sitzen zusammen und diskutieren Passagen des Tangos, den sie heute vorspielen sollen. Hier und da spielen sie ein paar Takte und schauen dann wieder in die Noten und die darauf notierten Anmerkungen des Maestros. Dabei rauchen sie und saugen gurgelnd an ihrem Mate-Tee oder trinken zu viel Kaffee.
(…..)
Ohne große Dramatik legt El Ruso seinen Bogen zart auf die Saiten und beginnt mit einem Strich, der schon immer die besondere Wirkung auf Zuhörer hatte.
Man kann nicht sagen, ob der Ton angenehm oder schmerzhaft ist, süß oder herb. Zart wie das Flüstern in der ersten Liebesnacht oder hart wie das Aufwachen nach einem durchzechten Wochenende. Auf jeden Fall scheint er vor den Zuhörern fast sichtbar Gestalt anzunehmen. Wie ein Ball aus Licht schwebt dieser Ton durch den Saal, gespeist vom Strich des Bogens und wie von einem mäandernden Strom aus Licht mit der Geige verbunden.
Dem Maestro und den anderen Musikern richteten sich die Haare an Armen und Nacken auf und ein warmes Kribbeln breitete sich von der Mitte ihrer Schulterblätter über den ganzen Körper aus. Gebannt und regungslos sitzen sie da und werden in die Brandung von El Rusos musikalischen Wellen gespült, die nun wild und mit aller Kraft der Naturgewalten den Saal überfluten.
Wieder flitzen seine Finger wie flinke Insektenbeine in einer Geschwindigkeit über das Griffbrett der Geige, die es unmöglich macht, einen einzelnen Griff zu erkennen. Und doch stimmt jeder Ton, stimmt jede einzelne, nur zehntel Sekunde andauernde Position auf den Saiten. Sie springen von den tiefsten Tönen, nah an der Schnecke so schnell an den Korpus, dass die dunklen, warmen Töne noch von den Wänden zurückhallen, während El Ruso dieses Echo mit dem Pizzicato der feurigen Zigeunermelodie mischt, die er bereits im Hafen von Genua gespielt hat. Sein Körper windet und beugt sich wild zum Strich seines Bogens. Während sein Gesicht jedes tiefe, mit den Tönen verbundene Gefühl widerspiegelt und sein Mund mit zitternden Lippen die Melodie über die Saiten zu hauchen scheint.

Dreizehntes Kapitel: Maestro (gekürzt)

„Na, was ist jetzt?“ fragt der kleine Mann und starrt sie an. Esperanzas und El Rusos Blicke lösen sich langsam, wie aus einer anderen Welt gerissen, dann schreiten sie durch die Tür. Eine gewisse Siegessicherheit strahlt von ihnen aus, die beim Maestro mit einem interessierten Blick und einer gehobenen Augenbraue bemerkt wird.
„Der Tango wird mit den Talenten derer wachsen, die kommen und etwas Neues mitbringen“, sagt der Maestro nachdenklich über seine Tastatur gebeugt, während er langsam und versonnen eines seiner Stücke spielt, „Ihr beide habt etwas Besonderes.“
„Pfff“, stößt El Ruso die Luft aus, „natürlich, deshalb haben Sie meinen Tango ja auch – mierda – genannt.“
„Ja, dein Tango war schrecklich, grauenerregend, aber deine Musik, deine Musik, sie hat alles, was mein Tango braucht, sie ist ein Spiegel deiner Seele. Sie hat das Feuer der Zigeuner, sie ist tief wie ein schwarzer See, sie ist berauschend, wie eine Fiesta unter dem warmen Sternenhimmel, sie ist verliebt und doch besitzt sie fast anarchistische Züge und wütenden Hass. Sie treibt an, sie provoziert und zaubert ein verzweifeltes Lächeln auf mein Gesicht. Sie stellt mich in Frage, sie streichelt mich und tritt mich gleichzeitig unterwürfig in den Staub. Das ist es, was ich von dir im Tango erwarte, sonst spiel ihn nie wieder“, schaut er El Ruso direkt in die Augen und wendet sich dann Esperanza zu.
„Und du, meine Liebe, du setzt deine Töne wie funkelnde Sterne an das Firmament, strahlende kleine Punkte in der Unendlichkeit. Diamanten die aufflammen und den Moment erhellen. Dann jedoch verlöschen sie und werden vergessen. Und warum? Warum werden sie vergessen? Weil es zu viele dieser Diamanten sind. In einer endlosen Kette von hunderten ermüdenden Höhepunkten, die leer, ausdruckslos und hohl sind, wie der getrocknete Kürbis, aus dem wir unseren Mate-Tee trinken, sind sie ohne Unterlass aneinandergereiht.
Du inszenierst unsere Gefühle, wie ein Puppenspieler seine Marionetten. Du kennst die Wirkung jedes Tons, jedes Timbres, jedes Vibratos, jedes Zuges deines Gesichts und dem einladenden Glanz in deinen Augen. Selbst die verführerische Stellung deiner Lippen und das Heben und Senken deiner Brüste kontrollierst du perfekt. Du überflutest uns mit allem, was du zu bieten hast, aber du berührst mich nicht. Dein Gesang ist wie eine Rose ohne Duft, ein Festmahl ohne Geschmack oder der Körper des schönsten, geliebten Menschen ohne einen Funken Wärme. Ich erwarte, dass du Wahrheit und Tiefe in deinem Tango findest, uns jeden Moment genießen oder leiden machst, weil du selber genießt oder leidest, weil du lebst, was du singst. Finde das Leben des Tangos in dir, sonst singe nie wieder Tango!“

26. Kapitel: Die Ratten kommen (gekürzt)

Esperanza sieht an ihrem neuen Sommerkleid herunter, an dem nun einige Knöpfe fehlen, die abgesprungen sind, als er sie in seine Umarmung zwang. Noch vollkommen verwirrt und erschüttert hatte sie eben noch ihre Wohnungstür aufgeschlossen. Von einer Sekunde auf die nächste hatte er sich in einen anderen Menschen verwandelt. Er hatte etwas Animalisches, etwas Zerstörerisches in seinen Augen. Sie hatte dies das erste Mal 1939 in ihm entdeckt, als die Stimme des Führers im Volksemfänger, in ihrer kleinen Wohnung in Prenzlauer Berg, von dem Angriff der Polen auf den Sender Gleiwitz berichtete. Damals funkelten seinen Augen genau so, mit der Lust auf Rache und dem Durst nach Blut und Land.
(…..)
„Was hatte Wilhelm alles erzählt?“, versucht sie sich zu erinnern. „Ich war sein einziger Gedanke an der Front gewesen? Nur durch mich hat er die Schrecken des Untergangs überlebt, neuen Mut gefasst und sich von Freunden nach Argentinien bringen lassen? Was waren das für Freunde, die SS-Offiziere, die vor Gericht stehen sollten, heimlich nach Argentinien schaffen?“, wundert sie sich. Auch hatte Wilhelm angedeutet, dass er nicht allein gekommen war. Das Bild von Ratten, die an den Leinen und Tauen entlang in Reih und Glied dem Ufer entgegen das sinkende Schiff verlassen, kam ihr vor Augen. „Bin auch ich eine von diesen Ratten?“, schüttelte sie ein furchtbarer Gedanke. Eine geflüchtete Nazi-Ratte, die dazu gehörte? Nein, all das ist doch längst vorbei, ich war nie eine von denen, Wilhelm hat Unrecht.
(…..)
„Kleines, endlich hörst du sie, die Stimme des Blutes. Sie ist eindeutig, ich freue mich, dass du sie hörst.“
Esperanzas Hals schnürt sich zu einem Würgen zusammen. „Wilhelm, du hast mir deine Hilfe angeboten.“
„Ja, sicher“, tönt es triumphierend aus dem Hörer.
„Es wurde jemand verhaftet.“
„Ach? Wer? Name?“, kommt die knappe Antwort.
„José Lesniak, El Ruso.“
„Hör zu Kleines, ich helfe dir und lasse meine Beziehungen spielen.“
„Danke“, flüstert Esperanza in den Hörer, „danke.“
Gerade, als sie den Hörer vom Ohr nehmen will, hört sie noch: „Aber es hat seinen Preis.“
„Ich hatte nichts anderes erwartet“, reagiert sie gespielt gelassen.

Fünfunddreißigstes Kapitel: Die Entdeckung, Juni 1955 (gekürzt)

„Hast du Neuigkeiten?“, fragt Maria ihre Freundin, wie jedes Mal.
„Nur das Übliche.“
„Die Zeitung“, nickt Maria nachdenklich, „keinen Hinweis, wo er ist?“
„Keinen“, antwortet Esperanza mit Tränen in den Augen.
„Hier, seine letzten Worte“, drückt sie Maria die heutige Titelseite in die Hand. „Er darf immer nur dasselbe schreiben, Ich lebe noch.“
„Du bist sicher, dass es seine Schrift ist?“
„Hundertprozentig sicher“, nickt Esperanza überzeugt.
„Merkwürdig, so groß?“
„Was meinst du?“
„Also, wenn ich etwas schreibe, dann ist das klein, wie in einem Brief oder in einer Notiz. Er schreibt aber sehr groß und unregelmäßig.“
„Natürlich ist es unregelmäßig, wahrscheinlich haben sie ihn gefoltert und seine Hände gebrochen, die Hände eines Geigers!“, schluchzt sie.
„Nein, ich glaube es ist etwas anderes“, schüttelt Maria den Kopf. „Schau dir doch mal die Es in Ich lebe noch an. Das erste sieht ganz anders aus als das zweite.“
„Du hast Recht, es ist fast wie ein kleiner Kreis“, legt Esperanza den Kopf etwas schief und die Stirn in Falten. „Zufall?“
„Nein, das ist kein Zufall“, kratzt sich Maria nachdenklich hinter dem rechten Ohr und fixiert das Papier. „Cognac, zum Nachdenken?“
„Ja gerne, einen Doppelten, bitte.“
„Es ist genial“, stoppt Maria mitten in einer Bewegung, als hätte sie der Blitz getroffen, „genial, einfach genial.“
„Was, was, was ist genial?“, starrt Esperanza sie an.
„Es ist eine Nachricht.“



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2 Kommentare

  1. Ich war beeindruckt, wie leidenschaftlich und mit Liebe zum Tango du von der goldenen Ära über den Krieg in Deutschland bis in die 1950er Jahre in Argentinien geschrieben hast. Generationenwechsel mit einer Kollision von Kulturen und Erwartungen sowie verborgene Familiendramen. Es gab besonders einprägsame Momente der Protagonisten, die ich sehr genossen und die einen starken Eindruck auf mich gemacht haben. Lebendige Beschreibungen, lyrische Töne, die in mir Emotionen hervorrufen und mich an meine Kindheit und Erfahrungen erinnern. Ich war erstaunt, wie du die Viertel von Buenos Aires beschrieben hast, das „Casa Rosada“ und das „Cabildo“.
    Eine der interessantesten Herausforderungen deines Buches finde ich die Darstellung und das Eintauchen in der verschiedenen Epochen. Hier meine ich Deutschland vor und nach dem Krieg, die Nazi-Ära, die kommunistische Ära, die Ära von Präsident Perón in Argentinien und die Rolle der Kirche in dieser Zeit. Es waren schwierige Zeiten voller Konflikte und Meinungsverschiedenheiten. Die Art und Weise, wie die Protagonisten diese Lebendigen und verschiedenen Epochen erlebten, erfordert ein gründliches Verständnis dieser von Konflikten geprägten Zeit. Ich gratuliere dir dazu. Themen wie die Rolle der Nazis in der Nachkriegszeit in Argentinien, das Verhältnis von Kirche und Politik im Jahr 1955, das U-Boot-Thema usw. Herzlichen Glückwunsch zu deinem Buch, das ich zweifellos weiterempfehlen kann.

  2. Gestern Abend habe ich das Buch fertig gelesen – aber der Duft von Argentinien schwirrt immer noch umher und das wird auch noch ein Weilchen so bleiben. Was für ein faszinierendes Buch! So voller Gefühle – zärtlich, leidenschaftlich, entrückt. Aber auch traurig, brutal, entwürdigend, menschenverachtend. Herr Gerbig hat da aus dem Vollen geschöpft und auch interessante geschichtliche Hintergründe geliefert, die man schon beinahe nicht mehr weiss.
    M.

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